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Warum ich male wie ich male...

In einer Berliner Telefonzelle entdeckte ich 1980 in Kratzschrift auf einem gelben
Metallrahmen, die rätselhafte Botschaft:

„Ich bin nicht das, was ich bin. Ich bin das, was ich nicht bin.“ *

Dieser vieldeutige Widerspruch ließ mich nicht los. Er öffnete mir die Tür zu einer
Welt unendlicher Möglichkeiten: Nicht nur das, was ich gegenwärtig bin,
definiert mein Sein, sondern auch all das, was ich noch nicht bin – meine
Sehnsüchte, meine Hoffnungen, meine Zukunft. In diesem Spannungsfeld
zwischen Sein und Werden erkannte ich meine ureigene malerische Berufung.


Seit jenem Augenblick bildet diese Maxime den Grundstein meines
schöpferischen Denkens und Handelns. In meinen Bildern, Übermalungen und
Schichtungen spiegelt sich der Fluss der Zeit und die stete Metamorphose meiner
selbst: Es beginnt 1980 mit den ersten 25 vorsichtig, transparent übermalten
Bildern, sie erzählen vom Werden und Vergehen, vom Immanenten und
Transzendenten. So entsteht eine Verknüpfung zwischen meinem persönlichen
Lebensweg und dem rätselhaften Potenzial des „Noch-nicht“, dass jeden
Pinselstrich mit Tiefenwirkung erfüllt. Diese Einsicht bildet seither die
Voraussetzung meiner malerischen Existenz.


Die hier vorgestellten 100 Werke sind das Ergebnis meines persönlichen
Schaffenscredo im aktuellen Zustand nach 45 Jahren. Schichten, die zugleich
verhüllen und enthüllen, Risse im Bild, die das Nichts in meinem Sein sichtbar
machen. Jeder Pinselstrich ist ein Akt der Wahl – ein Widerstand gegen die
Ummauerung des Ichs, ein Schritt in Richtung des ungreifbaren Anderen, das ich
in mir trage.


So entsteht Malerei als existenzieller Widerhall: nicht als Abbild eines
vergangenen Moments, sondern als Zeugnis des fortwährenden Entwerfens –
jenes fortdauernden Kampfes mit dem Nichts, das mich dazu drängt, mich selbst
immer wieder neu zu definieren.

 


*Später entdeckte ich den Ursprung der Aussage, die François Fénelon zugeordnet wird – „Ich bin nicht das, was
ich bin. Ich bin das, was ich nicht bin.“ – ist ein paradoxes, tief spirituelles und philosophisches Diktum, das auf
mehreren Ebenen interpretiert werden kann. Fénelon, ein französischer Theologe und Mystiker des 17.
Jahrhunderts war geprägt von einem tiefen christlichen Glauben und der Idee der Selbstverleugnung im Sinne
der Gottesliebe.
 

Resümee nach 40 Jahren 

Das Bild / Das Wort 

Jedes meiner Bilder trägt einen Titel. 
Keinen bloßen Namen, sondern eine poetische Spur – eine sprachliche Resonanz,
die mit dem Bild schwingt, ohne es zu erklären. 

In der Verbindung von Bild und Wort zeigt sich eine Grundstruktur meines Schaffens: 
Das Sichtbare tritt auf wie ein offenes Rätsel – unübersichtlich, mehrdeutig, nicht zu greifen. 
Das Bild verweigert die Eindeutigkeit, die Sprache sonst sucht. Es zeigt, ohne zu benennen.
Es fragt, ohne zu antworten. 

Und doch: Aus dem Schweigen der Bilder wachsen Worte. 
Worte, die nicht erklären, sondern nachhallen. 
Sie fangen nichts ein – sie geben Raum. 
Sie verwandeln das Flüchtige in eine Spur, die bleibt. 

Diese beiden Formen – das Bildhafte und das Sprachliche –
greifen ineinander wie zwei Werkzeuge der Wahrnehmung. 


Sie ermöglichen nicht Erkenntnis im klassischen Sinn, sondern Berührung. 
Ein Nachklang, der das Denken tastend macht. 
Ein Riss im Gewohnten, aus dem plötzlich Licht fällt. 

So durchzieht diese Konstellation mein gesamtes Werk: 
Nicht Bild oder Wort – sondern das, was dazwischen entsteht. 

 

                                                                                                                             Theesen 18.02.2020 

                                                                                                                                      Ro de Wals 

„Als das Wort seine Bedeutung offenbarte – Analyse einer Erfahrung in den USA und Kanada“  

I. Das Bild 

Ein Bild beginnt nicht mit Farbe. Es beginnt mit einem Bruch. 
Mit einem Riss im Gewebe der Gewissheit, einem leisen Innehalten im Strom der Wirklichkeit. Es ist da – nicht als Objekt, sondern als Ereignis. Es schaut zurück. Es stellt sich nicht zur Verfügung. Es fragt nicht nach Sinn, aber es ruft nach Aufmerksamkeit. 

 

Was sich zeigt, ist keine Szene, kein System. Ein Bild ist nicht geordnet. Es ist nicht logisch, nicht linear. Es zerfällt beim Sehen, verschiebt sich mit jedem Blick, zieht sich zurück, wenn man ihm zu nahe kommt. Es besitzt weder Zentrum noch Peripherie – nur ein Feld von Möglichkeiten, das sich jeder Festlegung entzieht. Und doch berührt es. Nicht weil es verständlich ist, sondern weil es uns berührbar macht. Weil es dort wirkt, wo Sprache noch tastet. Das Bild stellt sich als etwas dar, das nicht im Raster des Wissens liegt. Es ist Chaos der Formen, ein rätselhaftes Durcheinander ohne Sinn, ohne klare Mitte – und gerade darin liegt seine eigentliche Funktion: Es destabilisiert das Gesehene, es entreißt uns die Namen. Was wir zu erkennen glaubten, wird fremd. Was vertraut schien, verrutscht. 
Und das ist kein Fehler, sondern eine Einladung: zur Gegenwärtigkeit ohne Erklärung. Denn was bleibt, ist nicht Erkenntnis, sondern Präsenz. 

Das Bild hält uns nicht an, um verstanden zu werden – es hält uns an, damit wir sehen. Jedes Bild ist ein Möglichkeitsraum. Es legt keine Bedeutung offen, sondern eine Vieldeutigkeit frei, die das Denken in Bewegung hält. Es zwingt uns nicht zur Antwort, sondern zur Wahrnehmung. Und gerade weil es nichts „sagen“ muss, hat es die Macht, in uns lange nachzuhallen. 

Vielleicht ist das Bild die ehrlichste Form des Schweigens. Nicht leer – sondern wach. Nicht stumm – sondern still. Und in dieser Stille beginnen wir, anders zu atmen. Und sehen. 

II Das Wort 

Aber es wird gemunkelt – von jenen, die mit offenen Händen denken – dass Sprache, wenn sie nicht greift, sondern empfängt, mehr sein kann als ein System von Zeichen. Dass sie, in seltenen Momenten, zu einem Alchemisten wird, der das flüchtige Licht des Bildes in bleibende Worte verwandelt. 
 

Dann erhält das Bild einen Titel – nicht als Etikett, das fixiert, sondern als ein poetischer Impuls, der nicht schließt, sondern öffnet. Der etwas in Gang setzt, ein Echo erzeugt, das über das Bild hinausweist. Dieser Titel ist kein Begriff, keine These – er ist eine feine Spur, eine Verdichtung, ein Hinweis auf das Unsichtbare im Sichtbaren. 

Aus dem Schweigen des Bildes steigen Worte auf, die nicht erklären, sondern begleiten. 
Sie sind wie Samen, die in die Erinnerung sinken, sich dort verankern und mit der Zeit ihre eigene Form entfalten: als Metapher, als Allegorie, manchmal als Gedicht. 

 

Sprache, in diesem Sinn, ist keine Macht über das Bild, sondern Resonanzraum. Sie beugt sich nicht darüber – sie legt sich daneben. Sie fragt nicht: „Was bedeutet das?“ Sondern: „Was bedeutet es – für dich, jetzt?“                   Und dort beginnt das Spiel der Metaphern. Nicht als Verzierung, sondern als Brücke zwischen dem Sichtbaren und dem Verborgenen. Zwischen dem, was das Auge erkennt, und dem, was sich im Inneren bewegt. Metaphern schaffen Übergänge – keine Grenzen. Sie verschieben Bedeutung, lassen sie fließen, ohne sie zu verlieren. 

Unser gesamtes Denken, unsere Sprache, unser Weltverständnis ruht auf diesem feinen Gerüst: auf der Fähigkeit, Dinge anders zu sehen, anders zu sagen, anders zu empfinden. 

Bild und Wort stehen einander nicht gegenüber. Sie sind zwei Arten, sich der Welt zu nähern. Zwei Instrumente, die nicht identisch klingen, aber miteinander schwingen. Sie greifen in das Gewebe des Alltäglichen und bringen darin etwas zum Vorschein, das zuvor unbeachtet blieb. Vielleicht ist das ihre gemeinsame Gabe: Nicht das Unsagbare zu sagen – sondern es spürbar zu machen. Nicht das Flüchtige festzuhalten – sondern es so zu zeigen, dass es bleibt. 

                                                                                                   

                                                                                                   

                                                                                                  Cleveland 06/30/89 (Museum of Art) 

                                                                                                                                        Ro de Wals 

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